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„Elegant wie Nadelstreifen“ – Scheidt Kasprusch Architekten gewinnen Wettbewerb für Bürgerforum

Den Gestaltungswettbewerb für ein Bürgerforum der Stadt Ahlen hat das Berliner Büro „Scheidt Kasprusch Architekten“ für sich entschieden. „Und das einstimmig“, wie Bürgermeister Dr. Alexander Berger am Tag nach der Preisgerichtssitzung anerkennend feststellte. „Funktional und würdig“, so Berger, sei der Entwurf, den Architekt Hermann Scheidt am Dienstag mit Vertretern der Stadt Ahlen der Öffentlichkeit präsentierte.

Die überwiegend aus namhaften Architekturexperten bestehende Preisjury sei insbesondere von der Kleinteiligkeit des Entwurfs und seiner optimalen Einfügung in das städtebauliche Umfeld angetan gewesen. „Hervorragend gelöst ist, wie das Bürgerforum die Interaktion mit der Stadtbücherei aufgreift und auch mit dem Stadthaus korrespondiert“, sagte Preisgerichtsmitglied Berger. Das multifunktionale Gebäude soll spätestens Ende 2025 die marode Stadthalle als Veranstaltungsort ersetzen. Zudem werden der Stadtrat und Funktionsbereiche der Volkshochschule in ihm eine neue Heimat finden. Der Kosten-Nutzen-Wert, sei außerordentlich hoch. Berger habe sich sehr gefreut, als er am Montag den Siegerarchitekten Scheidt in Berlin habe anrufen dürfen, um zum gewonnenen Wettbewerb zu gratulieren. 

Hermann Scheidt spricht über seinen Entwurf als „eine fantastische Sache an einem schönen Ort.“ Bei dessen Abgabe habe sein komplettes Team die Überzeugung gehabt, „das ist gut, das ist, was wir können.“ Das Bürgerforum bewege sich in der Größenordnung vergleichbarer Projekte, die das Büro realisiert hat. Dazu zählen u.a. das Staatliche Museum Schwerin, Lehrräume der Charité Berlin und die Stadthistorische Bibliothek Bonn. Der Entwurf sei aus einem Guss. „Er ist fein und elegant, fast wie Nadelstreifen. Ohne, dass es teuer sein muss.“ 18 Millionen Euro soll der notwendig gewordene Neubau kosten, so die Anforderung in der Wettbewerbsausschreibung. Glas und Keramik prägen die Außenhaut. „Wir werden gemeinsam ausloten, ob nicht auch Emaille zur Anwendung kommen kann“, gibt sich Scheidt offen für Varianten, die eine Reminiszenz an die Industriegeschichte Ahlens sein könnten.   

Stadthallen-Geschäftsführer Andreas Bockholt hält den Siegerentwurf für einen Volltreffer, auch für die hauseigene Gastronomie. „Darin kann ich endlich vernünftig bewirten, was in der Stadthalle 40 Jahre lang schwierig gewesen ist.“ Alle Wünsche an die Funktionalität seien von Hermann Scheidt und Team „absolut befriedigt worden“, ist Matthias Harman zufrieden. Der Vorsitzende des Ausschusses für Stadtentwicklung und Bauen findet „einfach toll“, wie flexibel das Gebäude ist und wie offen und einladend sich das Restaurant künftig präsentiert. Gerade das gastronomische Angebot der Stadthalle sei für die Stadt wichtig, findet auch Betriebsausschussvorsitzender Thomas Kozler. Für ihn ist es kein Wunder, dass sich in der fast elfstündigen Preisgerichtssitzung der Entwurf so deutlich durchgesetzt hat.

Mit den drei erstplatzierten Entwurfsverfassern wird die Stadt Ahlen nun in Verhandlungsgespräche eintreten. Zweiter Sieger wurde Architekt Peter Bastian aus Münster, dritter das Dortmunder Büro Gerber Architekten, welches zu Jahresbeginn den Wettbewerb für das Ahlener Stadthaus gewann. Die einstimmige Platzierung mit der das Büro „Scheidt Kasprusch Architekten“ den Bürgerforum-Wettbewerb zu seinen Gunsten entschied, lässt Bürgermeister Berger an eine Realisierung zusammen mit den Berlinern glauben. „Die Erfahrung zeigt immer wieder, der Erste wird’s meistens bei einem so eindeutigen Ausgang.“

Das Preisgericht:
Stimmberechtigte Preisrichter

- Prof. Volker Droste, Architekt, Oldenburg
- Franz-Jörg Feja, Architekt und Stadtplaner, Recklinghausen
- Prof. Andreas Fritzen, Architekt und Stadtplaner, Köln
- Tanja Kuckert, Architektin, Münster
- Prof. Bettina Mons, Architektin, Münster

Stimmberechtigte Sachpreisrichter
- Dr. Alexander Berger
- Matthias Harman, Vorsitzender Stadtplanungs- und Bauausschuss
- Thomas Kozler, Vorsitzender Betriebsausschuss
- Markus Gantefort, Fachbereichsleiter Stadtentwicklung und Bauen 

Idee 
Eine neue Stadthalle? Weit mehr als das ist der Neubau des Bürgerforums mit seiner Vielzahl an Nutzungen und Funktionen: Er ist kultureller Treffpunkt, öffentliches Kommunikationszentrum, Zusammenspiel von Alt und Neu, inklusives Gebäude-Ensemble, gemeinschaftlicher Identifikationsort – und vollendet gemeinsam mit der dem Stadthaus und der Stadtbibliothek den neuen Bürgercampus an der Werse. Die Komplexität und Vielfalt seines Inneren macht der Neubau durch seine differenzierte Geometrie und Baukörpergliederung nach außen deutlich ablesbar. Gleichzeitig schafft die Anordnung seiner Bauteile ringsum charakteristische und spezifisch nutzbare Außenräume. Über diese öffnet sich der Neubau zu allen Seiten und tritt aus unterschiedlichen Richtungen immer wieder anders in Erscheinung. Von allen Seiten ermöglichen Zugänge eine schwellenarme Erschließung und machen das Bürgerforum zum Haus ohne Rückseite – zum offenen Haus. 

Städtebau 
Städtebaulich erscheint das neue Bürgerforum als eine Staffelung unterschiedlich dimensionierter, länglicher Baukörper, die sich – wie das Stadthaus, die denkmalgeschützte ehemalige Schule und viele weitere Bauten der Umgebung – bewusst an der Richtung und Linearität des Flusses orientieren. Die Gliederung in mehrere Baukörper bringt die erhebliche Baumasse auf den Maßstab des denkmalgeschützten ehemaligen Schulgebäudes und bewahrt dessen Dominanz und Würde. Die Höhenstaffelung unterstreicht diese maßstäbliche Einbindung. Auch im Südosten an der Friedrich-Ebert-Straße schafft diese Gliederung eine adäquate Antwort auf die gegenüberliegende kleinteilige Bebauung. Die im Grundriss gegeneinander versetzte Anordnung der Bauteile schafft Vorplätze, Höfe, Nischen und Eingänge. Die Höhenlage des gesamten Neubaus orientiert sich am Sockelgeschoss der alten Schule und vermittelt zwischen der etwas höher gelegenen Südenmauer und dem Werseufer.

Baukörperliche Gliederung
Der Neubau rückt im Nordosten mit dem zweigeschossig erscheinenden Saalbaukörper nahe an die Straße Südenmauer heran, wodurch er die denkmalgeschützte alte Schule schützend flankiert und gemeinsam mit ihr einen kleinen Vorplatz bildet. Hier liegen die Eingänge aus Richtung Stadt. Im Grundriss leicht verschoben, formulieren die zwei- und dreigeschossigen Bauteile des Neubaus einen dreiseitig umschlossenen Hof im Südosten an der Friedrich-Ebert-Straße. Dieser dient als Künstlereingang, Anliefer- und Werkhof und bietet Stellplätze für Nightliner und LKW. Im Südwesten schließt der allseitig orientierte Eingeschosser das Ensemble ab und lässt Platz für die großzügige neue Werse-Promenade und einen eigenen Kurzzeitparkbereich (Takeaway). Nach Westen spannen die Stadtbibliothek (in der alten Schule) und der gestaffelte Neubau einen großzügigen Freiraum auf, der Eingänge von Süden bzw. Westen formuliert und sich parallel zur Werse-Promenade bis zum Stadthaus erstreckt. Die Gestaltung dieses Freiraumes zwischen Bürgerforum und Stadthaus soll als Mischnutzung neben der Funktion als Parkplatz auch andere gemeinschaftliche Nutzungen berücksichtigen bzw. ermöglichen. Durch die Höhenlage des Neubaus auf Niveau des Sockelgeschosses der Stadtbücherei erhält diese an der Schnittstelle bzw. gegenüber vom Eingang zum Bürgerforum einen neuen schwellenlosen Haupteingang (anstelle des bisherigen Behindertenzugangs). Ob hier ein gemeinsames Vordach Alt- und Neubau verbindet, oder ob beide einen gemeinsamen Eingangsbaukörper bekommen, ist gemeinsam mit der Stadt und den Nutzerinnen und Nutzern auszuloten und weiterzuentwickeln. Jedenfalls soll der Außenbereich um die Stadtbücherei in seiner Höhenlage auf sein ursprüngliches Niveau abgesenkt und dem Gebäude seine klassische Sockelproportion zurückgegeben werden. Auch die ehemals vorhandene breite Freitreppe vor den beiden Treppenhaus-Risaliten sollte rekonstruiert werden. 

Innere Gliederung 
Die baukörperliche Gliederung mit ihren gestaffelten und sich durchdringenden Volumen findet ihre Entsprechung in der inneren Nutzungsverteilung. Der aufteilbare Saal mit Tribüne, Bühne und Nebenräumen präsentiert sich nach Nordwesten zur Stadt. Sein zweigeschossiges Volumen wird durchdrungen und überlagert vom dreigeschossigen und damit höchsten Baukörper, der ebenerdig erschlossen die Verteilerfunktion mit Eingangsbereich, zweigeschossigem Foyer, Treppen, Garderoben etc. übernimmt. In seinem ringsum verglasten obersten Geschoss thronen als wichtige Funktion die VHS- und Tagungsräume. Sie sind vom gemeinsamen Eingangsbereich aus separat und unabhängig vom Saal-Foyer erschlossen und haben über weitere Treppen (auch Rettungswege) und Aufzug eine gute Anbindung an den Gastrobereich. Im ersten Obergeschoss befinden sich – in der „Schnittmenge“ zwischen Saal und Foyer – die Künstlergarderoben mit kurzer Anbindung an den Saal, an die VHS- und Tagungsräume sowie an den Künstlereingang am Anliefer- und Werkhof. Das Saal-Foyer liegt am gemeinsamen Eingangsbereich, kann aber auch direkt von außen begangen werden. Die Anbindung an den teilbaren Saal erfolgt über breite und 4,75 m hohe Türanlagen, die bei Bedarf komplett geöffnet und in entsprechende Türnischen geschoben werden können. Die großzügig geöffnete Fassade verschafft dem Foyer nach Südwesten zum großen Freibereich sowie nach Südosten zum Anliefer- und Werkhof nicht nur eine gute visuelle Beziehung nach außen, sondern ermöglicht neben der Belieferung und Befahrbarkeit durch LKW auch direkte Zugänge – wahlweise auch für Besucherinnen und Besucher. 
Die Gastronomie mit innerer Anbindung an das Saal-Foyer sowie vertikal an den Tagungsbereich ist im dreiseitig einsehbaren Gebäudeteil untergebracht und profitiert mit ihrer großzügigen Terrasse von dieser exponierten Lage und Präsenz. Das neue Bürgerforum kann in einem Bauabschnitt errichtet werden und erlaubt durch seine Lage (umlaufend 5 m Abstand von der alten Stadthalle), innere Organisation (z.B. Belichtung) und äußere Erschließung (Anlieferung und Eingänge abseits der alten Stadthalle) bis zu seiner Fertigstellung einen ungestörten Betrieb der bestehenden Stadthalle. 

Konstruktion und Material 
Das neue Bürgerforum wird aus Stahlbeton errichtet, und zwar dort, wo es möglich ist, als materialsparende Skelettkonstruktion. Diese wird aufgrund der akustischen (Schallübertragung) und Brandschutzanforderungen (Versammlungsstätte, Rettungswege) ergänzt durch Massivbau. Die weitspannenden Dachkonstruktionen des Saales und des Foyers sollen mit Holzbindern ausgeführt werden. Die zum Einsatz kommenden Materialien weisen einen hohen Grad an Umweltverträglichkeit auf (Cradle to Cradle, Recycling, CO2-Speicherung). Durch ihre haptischen Qualitäten und ihre Echtheit tragen sie zur Akzeptanz und zur Identitätsbildung bei. Die Fassadengliederung unterstützt die baukörperliche Differenzierung des Neubaus. Großzügig verglaste Fensterflächen wechseln ab mit Fassadentafeln aus Keramik, deren Relief dem Neubau eine lineare, feingliedrige Oberflächenstruktur verleiht. Die mineralische Außenhaut des Neubaus schafft einen Anklang an den Ziegel des Stadthauses und den Putz der Stadtbücherei, interpretiert diese jedoch mit ihrer verwandten Materialität neu. Die Keramikverkleidung stellt dabei außen eine ebenso wertige wie strapazierfähige Oberfläche dar. Innen werden die Wände aus sichtbarem Beton durch lineare Holzverkleidungen ergänzt und akustisch ertüchtigt. Industrieestrich und Holzböden (in den Obergeschossen) bilden dazu einen haltbaren und der Nutzung angemessenen Bodenbelag. Innen wie außen tritt der Neubau ebenso elegant wie robust in Erscheinung. 

Energie und Technik 
Das Energiekonzept berücksichtigt die Versorgungssituation vor Ort und den Anspruch an nachhaltiges Bauen. Dem wird insbesondere Rechnung getragen durch: - Reduzierung des Heizwärmebedarfs durch Windfang, kompakte thermische Hülle entsprechend Passivhausstandard und Wärmeleistungsspeicherung in Pufferspeicher - Geothermie und Photovoltaik - In Verbindung mit Industrie-Fußbodenheizung (Bauteilaktivierung) sorgt dies nicht nur für eine effiziente Beheizung, sondern erlaubt auch eine sommerliche Kühlung des Neubaus. - dazu Begrenzung der sommerlichen Wärmelast durch effiziente natürliche Belüftung und Nachtauskühlung - effiziente Belüftung und blendfreie Belichtung durch energetisch optimierte Anordnung motorisch betriebener Fensteröffnungen mit außenliegendem Sonnenschutz mit Lichtlenkelementen - optional zertifizierter Passivhausstandard bei Raumlufttechnik für das gesamte Gebäude - Regenentwässerung mit verzögertem Ablauf über Rückstau in extensiv begrünten Dachflächen in Rigolen-Versickerungs-Systeme.

Zu den Wettbewerbsergebnissen

Ansichten des Siegerentwurfs

Ansichten des Siegerentwurfs


Foto: Ansichten des Siegerentwurfs - hier mit Stadtbücherei

Ansichten des Siegerentwurfs - hier mit Stadtbücherei


Foto: Ansichten des Siegerentwurfs - hier mit Stadthaus

Ansichten des Siegerentwurfs - hier mit Stadthaus


Foto: Ansichten des Siegerentwurfs - hier mit Lageplan

Ansichten des Siegerentwurfs - hier mit Lageplan


Foto: Finden den Entwurf in jeder Beziehung gelungen: (v.l.) Dr. Alexander Berger, Thomas Kozler, Hermann Scheidt, Andreas Bockholt, Matthias Harman

Finden den Entwurf in jeder Beziehung gelungen: (v.l.) Dr. Alexander Berger, Thomas Kozler, Hermann Scheidt, Andreas Bockholt, Matthias Harman