Rede am Jüdischen Mahnmal am 9. November 2019
es gilt das gesprochene Wort
Sehr geehrte Frau Frankenthal,
verehrte Frau Lohmeyer,
lieber Herr König,
meine Damen und Herren.
Ich begrüße Sie herzlich auch im Namen des Forums Brüderlichkeit, der Familienbildungsstätte sowie der Volkshochschule Ahlen zu unserer heutigen Kundgebung aus Anlass der Pogromnacht vor 81 Jahren. Wieder einmal haben Sie, als Vertreterinnen und Vertreter von Vereinen, Schulen, Parteien, Kirchen und Verbänden, aber auch als bewegte Bürgerinnen und Bürger, den Weg in die Klosterstraße gefunden. Wir erinnern an diesem Abend an die furchtbaren Grausamkeiten, die der Naziterror unbescholtenen Nachbarn angetan hat, allein, weil sie jüdischen Glaubens waren.
Der 9. November 1938 war ein Fanal: Die Machthaber hatten in jener Nacht die letzten Hemmungen abgelegt und der ganzen Welt brutal demonstriert, wie sie mit den Juden in Deutschland umzugehen gedenken. Entrechtung, Ausgrenzung, Diskriminierung – das stand alles schon in den Nürnberger Gesetzen, die drei Jahre zuvor erlassen worden waren.
Das stand sogar schon unverblümt in der programmatischen Kampfschrift des sogenannten „Führers“ und täglich im Schandblatt der Partei, öffentlich ausgehängt in den „Stürmer-Kästen“, auch hier in Ahlen.
„Es wir schon alles nicht so schlimm werden“, „Hunde, die bellen, beißen nicht“ – die Selbstberuhigung derer, die es nichts anging, war varianten- und einfallsreich. Doch der Zivilisationsbruch war in jener Nacht endgültig vollzogen. Vor den Augen des gesamten Volkes. Das „Wir haben doch von nichts gewusst“ verlor spätestens nach diesem ungezügelten, öffentlichen Morden und Brandstiften seine Berechtigung. Nazis zeigten für jeden erkennbar: Wir meinen es ernst, wir halten Wort! (kurzes Innehalten)
Aus Worten folgen Taten - Auch wenn wir nur wenig Bereitschaft erkennen lassen, wirkliche Lehren aus Vergangenem zu ziehen, so sollten wir doch wenigstens dieser historisch verbürgten Tatsache Aufmerksamkeit und Glauben schenken. Was sich an Hass-Sprache im Internet den Weg bahnt, ist erschreckend und widerlich zugleich. Nicht weniger erschreckend ist die Erkenntnis, wie sehr wir offensichtlich bereit sind, uns damit abzufinden. Was nach Ansicht des Berliner Landgerichts Politiker bereit sein müssen, an Schmähungen und Bedrohungen hinzunehmen, ist absolut unverständlich, ja unbegreiflich.
Wenn sich das Gefühl durchsetzt, dass Schutz der Freiheiten derer, die das Internet zu einem „asozialen Hetzwerk“ machen, wichtiger ist als die Verteidigung der Grundrechte derer, die mit Schmutz und Anfeindungen überkübelt werden, dann ist die Demokratie ernsthaft in Gefahr.
Aus Worten folgen Taten, meine sehr geehrten Damen und Herren.
Nur einen Monat ist es her, dass in Halle der versuchte Massenmord an Juden scheiterte. Zwei Menschen haben diesen Anschlag nicht überlebt. Noch sind die Einschusslöcher an der Synagogentür frisch, da wird in Thüringen ernsthaft darüber diskutiert, ob eine Regierungstolerierung durch die Höcke-Partei in Erwägung gezogen werden sollte. Ich möchte allen Demokraten zurufen, solche Gedankenspiele sofort zu beenden! Es war schon schlimm genug, dass in Hessen ein NPD-Mann durch demokratische Wahl zum Ortsvorsteher werden konnte, unter anderem, weil er doch der Einzige gewesen sei, der E-Mails versenden konnte, wie es trotzig zur Rechtfertigung hieß. Dieser Fehler ist mittlerweile revidiert worden.
Das demokratische Lager darf sich nie wieder abhängig machen von denen, die Werte wie Vielfalt und Minderheitenschutz missachten und sich bewusst am Nazivokabular bedienen. Wo kommen wir hin, wenn Demokraten eine Partei salonfähig machen, die Naziverbrechen relativiert und deren Exponent von „wohltemperierten Grausamkeiten“ schwadroniert, die notwendig seien, um den „Volkstod durch Bevölkerungsaustausch“ zu vermeiden.
Antisemitismus und Nationalismus lassen sich nicht einhegen, wie uns 1933, das Jahr der nationalsozialistischen Machtübernahme, lehrt. Antisemitismus und Nationalismus lassen sich nur kompromisslos bekämpfen als das, was sie sind: Verbrechen gegen die Menschlichkeit und alles, was wir schätzen und verteidigen.
Deutschland hat eine einmalige Verpflichtung, die Rückkehr von Intoleranz und Hass zu verhindern. Wenn sich mehr als ein Viertel der Gesellschaft mit Antisemitismus identifiziert, wie jüngste Umfragen belegen, dann ist es Zeit für die restlichen drei Viertel, Demokratie und die tolerante Gesellschaft zu verteidigen.
Toleranz findet aber auch ihre Grenzen in unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Es ist unerträglich, wenn heute Abend, jetzt zu dieser Stunde, nur wenige Kilometer von uns entfernt in Bielefeld Nazis aufmarschieren und das ehrende Gedenken an die Ermordeten des Dritten Reichs in den Dreck ziehen.
Meine Damen und Herren,
ich freue mich nun auf Ruth Frankenthal, jüdische Vorsitzende der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit in Münster. Sie, liebe Frau Frankenthal, werden einen Blick zurückwerfen auf ein Jahr, das für Menschen jüdischen Glaubens in Deutschland viele schlimme Zumutungen bereithielt.
Tätliche Angriffe gegen jüdische Menschen gehören zu den fast täglichen Meldungen, die immer kleiner werden und auf hintere Seiten der Zeitungen wandern. Der versuchte Messeranschlag auf die Neue Synagoge in Berlin ging fast unbemerkt unter. Eine seltsam anmutende Gleichgültigkeit stellt sich in breiten Teilen der Bevölkerung ein.
Sie, verehrte Frau Frankenthal, verlieren dennoch nicht den Mut und bringen immer wieder die Energie auf, gegen Antisemitismus anzumahnen – auch und gerade gegen den, der sich subtil und weithin akzeptiert im verlogenen Gewand sogenannter „Israel-Kritik“ geriert. Herzlichen Dank für Ihr unermüdliches Engagement!
Nach einem weiteren Lied des Posaunenchors der Evangelischen Kirchengemeinde Ahlen unter der Leitung von Rolf Leuthard, dem ich für das kulturelle Rahmenprogramm recht herzlich danke, spricht dann unser Gast Birgit Lohmeyer. Vor 15 Jahren bezog sie mit ihrem Ehemann einen Forsthof in der Nähe von Wismar. Zwei Jahre später begann das Dorf Jamel negative Schlagzeilen zu schreiben, weil zunehmend Rechtsextremisten sich dort niederließen. Um das zu ändern, öffneten die Eheleute Lohmeyer 2007 zum ersten Mal ihren Forsthof für ein musikinteressiertes Publikum.
Zusammen veranstalten sie seitdem das Open Air Festival „Jamel rockt den Förster“ und engagieren sich mit Kulturveranstaltungen aktiv gegen Rechtsextremismus. Für ihr Engagement erhielten beide diverse Auszeichnungen, zum Beispiel den Paul-Spiegel-Preis des Zentralrats der Juden in Deutschland, den Bürgerpreis der deutschen Zeitungen und die „1-Live-Krone“. In den vergangenen Jahren hatten unter anderem Herbert Grönemeyer, Die Toten Hosen, Bela B (Die Ärzte), Kraftklub, Fettes Brot und die Beatsteaks gespielt. Schirmherrin des Konzerts ist die Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern, Manuela Schwesig.
„Unser nicht-kommerzielles, ehrenamtlich organisiertes Festival soll in erster Linie zeigen, wie man sich - ganz entspannt und gewaltfrei - für Demokratie und gegen Rechtsradikalismus und -populismus aussprechen kann“, sagten die Lohmeyers in einem Gespräch mit der Ostsee-Zeitung. Auch politisch nimmt Birgit Lohmeyer den Kampf gegen Rechtsextremismus auf. Bei den Kommunalwahlen in diesem Jahr musste sie jedoch eine bittere Niederlage hinnehmen, als sie einem rechtsextremistischen Kandidaten deutlich unterlegen war.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit und gebe das Wort an Ruth Frankenthal.
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Zum Abschluss:
Sehr verehrte Anwesende,
Antisemitismus ist ein Verbrechen. Nichts kann seine mörderische Intention relativieren. Lassen Sie mich zum Abschluss unserer Veranstaltung aus der Berliner Zeitung vom 5. Oktober zitieren. Nur fünf Tage vor dem Anschlag von Halle schrieb sie über den Vorfall an der Neuen Berliner Synagoge:
„Die Szenen waren dramatisch, als um 17.30 Uhr plötzlich ein Mann den Sicherheitszaun vor dem Gebäude in der Oranienburger Straße überstieg. Der 23-jährige, dessen Geburtstort Damaskus in seinen Papieren ihn als Syrer ausweist, ist dann mit gezogenem Messer in der Hand auf die Objektschützer vor dem jüdischen Gotteshaus zugelaufen.
Laut Zeugen und Wachschützern soll der Mann in arabischer Sprache in leiser Tonlage, aber deutlich hörbar „Allahu akbar“ gesprochen haben. Außerdem soll er „Fuck Israel!“ gerufen haben.
Das Messer beschrieben die Objektschützer später als eines mit feststehender, 20 Zentimeter langer Klinge. Farbe schwarz. Die beiden Wachmänner zogen sofort ihre Dienstwaffen. Doch der Angreifer lief unbeeindruckt weiter. Dann stoppte er, ließ aber die Waffe nicht fallen. Die Objektschützer hielten ihn mit den Pistolen auf Abstand. Er stand direkt vor dem Hauptportal der Synagoge und stand in bedrohlicher Haltung vor dem Gittertor, wie die Objektschützer später aussagten. Das Messer wog er zwischen seinen Händen und her.
Von der Seite näherten sich Polizisten dem Mann und sprühten ihm Reizgas ins Gesicht. Sie konnten ihn dann überwältigen und ihm das Messer wegnehmen. Er wurde festgenommen. Bei seiner Durchsuchung fanden sie weitere Messer. Der Mann ist bislang polizeilich nicht in Erscheinung getreten. Ein völlig unbeschriebenes Blatt.
Gegen ihn werde nun wegen Bedrohung ermittelt. Im droht maximal ein Jahr Haft deswegen. Haftgründe liegen nicht vor, so eine Sprecherin. Lediglich der Anfangsverdacht eines Hausfriedensbruchs, so die Generalstaatsanwaltschaft.“
Ich wünsche Ihnen einen besinnlichen Abend und guten Nachhauseweg.