Ansprache zum Volkstrauertag am 17. November 2019
es gilt das gesprochene Wort
Meine sehr geehrten Damen und Herren,
verehrte Vertreterinnen und Vertreter aus Vereinen, Organisationen und Institutionen,
liebe Bürgerinnen und Bürger unserer Stadt!
Ich begrüße Sie herzlich zum zentralen Gedenken der Stadt Ahlen aus Anlass des Volkstrauertages. Wir gedenken heute Abend nicht nur der Opfer von Kriegen und Bürgerkriegen, sondern auch all jener, die in Diktaturen aus politischen, religiösen oder rassistischen Gründen ihr Leben lassen mussten. Vor allem aber mahnen wir zum Erhalt des Friedens in Europa und der ganzen Welt.
Der diesjährige Volkstrauertag steht im Zeichen des 100. Jahrestages der Gründung des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge. Als Konsequenz aus dem Grauen und der Sinnlosigkeit des Ersten Weltkrieges zogen vor einem Jahrhundert weitblickende Menschen die Lehre, dass ohne Erinnerung keine friedliche Zukunft zu gestalten ist.
Der Volkstrauertag soll uns Mahnung davor sein, was passieren kann, wenn Gesellschaften nicht genug gegen Intoleranz, Hass und Gewalt unternehmen.
Hinzufügen möchte ich: Er mag auch Appell an uns sein, den Frieden im Innern ständig zu suchen und zu bewahren. In der Stadtgesellschaft, im Privaten sowie am Arbeitsplatz oder in der Ausbildungsstätte. Gräben, die unbedacht aufgeworfen werden, lassen sich nur unter größten Anstrengungen wieder zuschütten. Wer Auge und Herz für das Leid und Elend in der Welt öffnet, wird in dankbarer Demut den Wohlstand genießen, den wir in Europa erleben.
Niemals zuvor haben die Menschen auf unserem Kontinent in so großer materieller Sicherheit und in so großer Freiheit gelebt wie heute. Das ist der Verdienst der seit 70 Jahren währenden Zusammenarbeit der Völker Europas – und welch ein Glück: seit dreißig Jahren beherbergt unser gemeinsames Haus auch die Nationen Osteuropas!
Jeder einzelne von Ihnen ist aufgefordert, diese in der Menschheitsgeschichte einzigartige zivilisatorische Errungenschaft Tag für Tag aufs Neue gegen Demagogen und Hetzer zu verteidigen. Haben Sie den Mut jenen zu widersprechen, die in Vielfalt eine Bedrohung sehen und das Rad der Geschichte zurückdrehen wollen. Im Blick zurück sehen wir in die traurigen Augen derer, die auf den Schlachtfeldern der Kriege und in den Todeslagern der Nazis ihr Leben ließen.
Unser Blick, der Blick der Demokratinnen und Demokraten, ist im Dialog der Kulturen und Religionen nach vorne gerichtet.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich darf Ihnen die Erklärung „Gemeinsam für den Frieden in Europa“ verlesen, die die fünf Verfassungsorgane der Bundesrepublik Deutschland aus Anlass des 100. Gründungstages abgegeben haben und der sich in meinem Namen Rat und Verwaltung sowie alle friedliebenden und demokratischen gesellschaftlichen Kräfte der Stadt Ahlen anschließen:
„Seit 100 Jahren arbeitet der Volksbund dafür, die Gräber der deutschen Kriegstoten im Ausland zu pflegen und zu erhalten.
Nach dem ersten Weltkrieg gegründet, wurde auch im Volksbund schon bald der Gedanke der Versöhnung verdrängt von Nationalismus und Revanchismus. Ab 1933 unterwarf sich der Volksbund bereitwillig dem Nationalsozialismus.
Heute jedoch ist der Volksbund eine Bürgerinitiative für den Frieden mit vielen Partnern im In- und Ausland. Seit dem Fall des Eisernen Vorhangs fördert er besonders den Dialog mit Mittel- und Osteuropa.
17 Millionen Tote des Ersten Weltkrieges und 55 Millionen Tote des Zweiten Weltkrieges sind das furchtbare Ergebnis von Nationalismus, Diktatur und Völkermord. Die Kriegsgräber und die Gedenkstätten für die Toten und Vermissten sind Orte der Trauer und der Erinnerung. Sie mahnen uns zu Verständigung, Versöhnung und Frieden.
Frieden in Europa ist nicht selbstverständlich. Die Überwindung von Nationalismus und Rassismus, von Hass und Intoleranz, von Unterdrückung und Verfolgung braucht Mut und Ausdauer.
Heute wächst der Nationalismus erneut. Gerade deshalb ist es wichtig, dass wir gemeinsam der Opfer der Kriege gedenken und uns über Grenzen hinweg über vergangenes Leid, dessen Ursachen und die Voraussetzungen für ein friedliches Miteinander austauschen.
Der Volksbund bringt junge Menschen aus ganz Europa zusammen. Der Austausch trägt dazu bei, die Perspektive der anderen besser zu verstehen, er stiftet Freundschaften und schärft das Bewusstsein dafür, dass Frieden ein Gut ist, das es gemeinsam zu bewahren gilt.
Kriegsgräberfürsorge ist Arbeit für den Frieden in Europa. Seit 100 Jahren lebt der Volksbund von der Unterstützung der Bevölkerung. Auch wir unterstützen ihn.
Gezeichnet:
Frank-Walter Steinmeier, Bundespräsident
Dr. Wolfgang Schäuble, Präsident des Deutschen Bundestages
Dr. Angela Merkel, Bundeskanzlerin
Daniel Günther, Präsident des Bundesrates
Pro. Dr. Dr. h.c. Andreas Voßkuhle,
Präsident des Bundesverfassungsgerichts“
Meine Damen und Herren, das traditionelle Totengedenken wird gleich von Ariane Krumtünger verlesen. Sie absolviert zurzeit ein Freiwilliges Jahr Kultur bei der Stadt Ahlen. Ich danke Ihnen, liebe Frau Krumtünger, dass Sie bereitwillig dieses Ehrenamt übernommen haben.
Mein besonderer Dank gilt heute Abend Rainer Legant. Sie, verehrter Herr Legant, sind Lehrer an der Fritz-Winter-Gesamtschule und Sprecher des Arbeitskreises „8. Mai“ der weiterführenden Schulen. In herausragender Weise engagieren Sie sich für die Erinnerungskultur in unserer Stadt. Aus Anlass des Jubiläums „100 Jahre Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge“ ist es mir ein Anliegen, dass – wenn man so sagen will – Volkstrauertag und das auf den 8. Mai fallende Gedenken an das Kriegsende mit vereinten Kräften für Frieden und Verständigung auftreten.
Immer wieder bewegend und lehrreich zugleich sind die von Ihnen ausgerichteten Veranstaltungen zum Jahrestag des Kriegsendes, auf denen ich gern spreche. Darüber werden Sie gleich berichten und auch von den Gedenkstättenfahrten erzählen, die Sie wiederholt begleitet haben. Mir ist noch immer gut in Erinnerung eine Fahrt nach Belgien, als wir vor drei Jahren zusammen mit dem Volksbund eine Bildungspartnerschaft „Gedenkstätten und Schulen“ auf dem Soldatenfriedhof Lommel unterzeichnen durften.
Dem Aufklärungsbataillon 7 gebührt mein Dank für die Fortsetzung der jahrzehntelangen Tradition, das Gedenken zum Volkstrauertag mit einem Ehrenzug der Bundeswehr zu bereichern.
Nachdem ich mit Ihnen, sehr geehrter Herr Oberstleutnant Gadow Kränze zum Gedenken an die Toten von Kriegen und Gewalt niedergelegt habe, hören wir zum Abschluss noch einmal den Musikverein Vorhelm mit dem Deutschlandlied und der Europahymne.
Verabschiedung
Meine sehr geehrten Damen und Herren,
Sinn und Bedeutung von Gedenkstättenfahrten hat unser Ehrenredner vorhin nachdrücklich beschrieben. Die Zeitzeugen werden weniger. Umso wichtiger ist es, die Erinnerung wach zu halten. Besuche auf den Ehrenfriedhöfen und in den KZ-Gedenkstätten sind dazu ein wichtiger Weg. Im Internet begegnet man heutzutage irritierenden Beiträgen, die das Grauen der Kriege zu abenteuerhaften Heldenerlebnissen verklären. Das millionenfache Nazi-Morden und die Lager werden entweder frech geleugnet oder – welch eine Ungeheuerlichkeit - die Verantwortung dafür den Opfern zugeschoben.
Die Begegnung mit den realen Orten, an denen die Zivilisation ihre größte Niederlage erlebte, scheint mir das wirkungsvollste Gegengift gegen alles Verharmlosen und Verherrlichen zu sein. Um den Volksbund in dieser Arbeit zu unterstützen, bitte ich Sie um Ihre Spende bei der Haus- und Straßensammlung, die in Kürze beginnt. Unterstützen Sie das Anliegen der Versöhnung über den Gräbern. Schon eine kleine Gabe trägt dazu bei. Vielen Dank!