„Kein Allerweltsfund“ - Archäologische Fachwelt schaut auf den Ahlener Marktplatz

Der Ahlener Marktplatz sorgt derzeit bundesweit für Furore. Zumindest was die archäologischen Entdeckungen betrifft, die das Landesdenkmalamt gemacht hat. „Das ist kein Allerweltsfund“, sagt Andreas Wunschel von der LWL-Archäologie für Westfalen und bestätigt: „Die Fachwelt interessiert sich für den Ahlener Markt.“

Im Rahmen von Bauarbeiten untersuchen aktuell Archäologen unter der Fachaufsicht des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL) den Marktplatz. Dabei stießen sie auf die Grundmauern mittelalterlicher Häuser. Zahlreiche Funde wie Tonscherben und Tierknochen veranschaulichen die vielseitige Nutzung des Ortes. Denn schon im Mittelalter waren Marktplätze Mittelpunkte des städtischen Lebens.

Teile der freigelegten Fundamente werden jedoch nach Pfingsten für immer zerstört. Die Pumpenkammer für ein geplantes Wasserspiel, das auf dem neu gestalteten Marktplatz entsteht, wird dort bis zu drei Meter tief in den Boden versenkt, wo jetzt noch die Grabungen stattfinden. Der Stadt Ahlen sei es jedoch zu verdanken, so Wunschel, dass nicht auch die Reste früherer Rathausbauten für immer verschwinden. „Die Planungen wurden nämlich so geändert, dass die Technik etwas mehr nach Norden verlegt wird und dadurch alte Mauern erhalten bleiben.“ Aber auch manche der Steine, die der Pumpenkammer weichen müssen, werden für die Nachwelt gesichert: Als Sockel für ein Bronze-Stadtmodell, das die Mitte des Marktplatzes schmücken wird.

Stadtbaurat Andreas Mentz ist von den Grabungsergebnissen äußerst angetan. „Wie spannend das wird, war anfangs gar nicht klar.“ Das unerwartet aufgetauchte Flechtwerk würde man nicht alle Tage zu sehen bekommen.  Aktuell arbeiten die Archäologen an diesem seltenen Befund. Es handelt sich um ein Geflecht aus verschiedenen Geästen, die sich nur aufgrund der hohen Feuchtigkeit im Untergrund erhalten haben. Die Konstruktion ähnelt einer Flechtwerkwand, wie sie aus alten Fachwerkhäusern bekannt sind. Auf den Boden gelegt sollte dieses Holzgeflecht möglicherweise den Zugang zu einer Wasserstelle befestigen. Die genaue Funktion des Geflechts ist ebenso wie sein Alter zurzeit noch unklar. Archäologische Fachzeitschriften haben über diesen Fund bereits berichtet.

Das Interesse der Archäologen gilt ferner dem Keller eines mittelalterlichen Hauses, das im 15. Jahrhundert abgerissen worden war. Eine Hauswand aus Kalkstein war offenbar noch während der Bestandszeit des Gebäudes einsturzgefährdet. Direkt neben ihr fanden die Archäologen eine zweite Mauer aus Backstein. „Diese vorgesetzte, jüngere Mauer diente vermutlich zur Stabilisierung der baufällig gewordenen Kellerwand“, erläutert Andreas Wunschel. Möglicherweise hatten die mittelalterlichen Mauerer keine saubere Arbeit geleistet. Vielleicht war diese Maßnahme auch notwendig, weil die Erbauer des Hauses die Tragfähigkeit des sandigen Baugrundes überschätzt hatten. „Das ist natürlich sehr spannend, so etwas archäologisch dokumentieren zu können“, so Wunschel.

Nach dem Abriss des Hauses verfüllten die Menschen den Keller mit verschiedenen Abfällen: Hier wurde Bauschutt entsorgt, aber auch Dachziegel, Tierknochen sowie Scherben von Glas- und Tongefäßen. Zu den weiteren Funden gehört eine Menge schmaler Lederstreifen. Offenbar befand sich in der Nähe ein Flickschuster, der seinen Müll in dem abgerissenen Gebäude entsorgt hatte. Einen Einblick in die Tätigkeit eines solchen Schusters und anderer Handwerker bietet derzeit die Ausstellung „Echt alt! Mittelalterliches Handwerk ausgegraben“ im LWL-Freilichtmuseum Hagen.

Darüber hinaus entdeckten die Forscher die Fundamente des alten Ahlener Rathauses aus dem 18. Jahrhundert. Das barocke Gebäude entstand nach einem Stadtbrand von 1744 und wurde Anfang des 20. Jahrhunderts zugunsten eines Neubaus, der heutigen Volkshochschule, abgerissen. Die Archäologen legten mächtige Mauerreste frei, die das Fundament dieses barocken Rathausbaus bildeten. „Aus bauhistorischer Sicht sind die verschiedenen Mauertechniken sowie die unterschiedlichen Größen der verwendeten Natursteine von Interesse“, so Wunschel. „Wir sehen darin Hinweise, dass das barocke Rathaus auf einen weiteren, vielleicht spätmittelalterlichen Vorgängerbau aus der Zeit nach 1400 zurückgeht.“ Unter dem Ahlener Marktplatz liegen also die Reste von mehreren Generationen von Rathäusern verborgen.

Die archäologischen Untersuchungen auf dem Ahlener Marktplatz haben im September 2017 begonnen und laufen parallel zu den aktuellen Sanierungs- und Umgestaltungsmaßnahmen. Durch eine enge Zusammenarbeit mit der Stadt Ahlen war es bereits im Vorfeld der Bauarbeiten möglich, Bodeneingriffe und archäologische Untersuchungen sehr gut aufeinander abzustimmen. Dadurch können Verzögerungen vermieden und die Kosten zu 80 Prozent aus Mitteln der Städtebauförderung unterstützt werden. Eine archäologische Fachfirma wird auch die weiteren Arbeiten am Marktplatz lückenlos begleiten.

Foto: Dieses Flechtwerk begeistert zurzeit die archäologische Fachwelt.

Dieses Flechtwerk begeistert zurzeit die archäologische Fachwelt.


Foto: Die vorderen Mauern bleiben unter dem Marktplatz erhalten, die hinteren weichen einer unterirdischen Pumpenkammer.

Die vorderen Mauern bleiben unter dem Marktplatz erhalten, die hinteren weichen einer unterirdischen Pumpenkammer.


Foto: Ein Bronze-Stadtmodell (Beispielabbildung) thront demnächst auf Mauerresten, die unter dem Marktplatz gefunden wurden.

Ein Bronze-Stadtmodell (Beispielabbildung) thront demnächst auf Mauerresten, die unter dem Marktplatz gefunden wurden.


Foto: Lobten die gute Zusammenarbeit von Stadt und LWL-Archäologie: (v.l.) Andreas Mentz, Andreas Wunschel, Nicole Wittkemper-Peilert (Denkmalpflegrein der Stadt Ahlen), Fachbereichsleiter Markus Gantefort

Lobten die gute Zusammenarbeit von Stadt und LWL-Archäologie: (v.l.) Andreas Mentz, Andreas Wunschel, Nicole Wittkemper-Peilert (Denkmalpflegrein der Stadt Ahlen), Fachbereichsleiter Markus Gantefort